Wie heißt es so schön?
„Leicht muss das Paddel sein, das zählt!“
Bei Diskussionen zum Material geht es ganz häufig um das Gewicht. Häufig wird dabei außer acht gelassen, in wie weit ein geringeres Gewicht relevant für die Tätigkeit ist, für das ich den Gegenstand benutzen möchte. Das ist gerade bei Paddeln ein Thema, das eine nähere Betrachtung verdient.
Wenn wir in ruhigem Tempo durch die Gegend paddeln, kommen wir auf ca. 40 Paddelschläge pro Minute. Das sind 2400 Schläge in der Stunde. Bei einer Tour von 5 Stunden kommen wir also auf 12000 Paddelschläge. 12000 mal das Paddel nach einem Paddelschlag, heraus nehmen, nach vorne führen und wieder einsetzen. Wenn wir die Strecke abschätzen, die die Paddelspitze nach einem „J-Schlag“ oder einem „Grundschlag mit Heckhebel“ zurücklegt, bis sie wieder ins Wasser gesetzt werden, kommen wir auf ca. 1,5 Meter. (Natürlich ist diese Strecke stark abhängig von Blattform, Schaftlänge und Oberkörper-/ Armlänge.)
Jetzt kommt man schnell zu einer Rechnung, die erstaunliche Zahlen ergibt: 12000 Schläge mit 1,50 m „Paddelblatt-Spitzen-Strecke“? Dann bewegen wir die Paddelblattspitze 18 km nach vorne! Wenn ich jetzt ein 100g leichteres Paddel benutze, dann bewege ich an einem Tag ein Gewicht von (12000 * 100g = 1.200.000 g) 1,2 Tonnen weniger!
So wird oft unter Paddlern diskutiert und das sind die Argumente, dass ein Paddel unbedingt leicht sein muss. Unglaubliche Zahlen, oder? Die Rechnungen sind einfach, also können die Zahlen nicht falsch sein. 18 km! 1,2 Tonnen!
Können wir diese Zahlen denn wirklich für etwas Sinnvolles benutzen? Ohne die Zahlen in ihren Absolutwerten zu bewerten, lohnt sich eine Betrachtung in Relation für unterschiedliche Paddeltechniken.
Einzelbetrachtungen
Vergleichen wir unterschiedliche Paddeltechniken und betrachten nur eine Paddelzeit von 60 Minuten.
J-Schlag
Bei unserem Beispiel mit dem J-Schlag kommen wir auf 2400 Schläge. Bei einem 100 g leichteren Paddel „sparen“ wir 240 kg auf 3,6 km.
Sit ´n Switch
Der erste Fall: Paddeln in „Sit ’n Switch“ Technik in „Rennqualität“. Da können wir von 60 Paddelschlägen pro Minute ausgehen. Das macht auf eine Stunde 3600 Paddelschläge. Für diese Technik benutzt man meist ein kurzes Paddelblatt, auch wird der Paddelschlag bei der hohen Frequenz kurz gehalten. Das führt zu einer Bewegung der Paddelblattspitze über Wasser von ca. 110 cm.
Regelmäßig wird dabei die Paddelseite gewechselt. Das passiert (ja nach Technikqualität und Boot) in etwa alle 8 Schläge. Wir kommen also auf 450 „Aushübe“ mit Seitenwechsel, bei denen das Paddel nicht nur knapp über das Wasser nach vorne geführt, sondern über das Boot gehoben wird – und das möglichst schnell.
Indian Stroke
Nun das andere Extrem: Betrachten wir die Technik des „Indian-Stroke“. Dabei wird das Paddel nicht ausgehoben, sondern im Wasser nach vorne zurück geführt. Dafür brauchen wir mehr Zeit, rechnen wir mit 30 Schlägen in der Minute. Das macht bei 60 Minuten Paddelzeit – 0 Aushübe. So lange der Auftrieb des Paddelblattes das Gewicht von Schaft und Knauf trägt, ist das Gewicht nicht relevant. Wichtiger ist da, mit wie viel – oder besser mit wie wenig – Wiederstand das Paddel nach vorne geführt werden kann.
Canadian Stroke
Gehen wir zurück zu unserer Grundannahme, ändern aber die Paddeltechnik auf „Canadian-Stroke“ Dabei wird das Blatt unter Wasser im Bogen nach vorne geführt, bis die Blattspitze ca. auf Kniehöhe ankommt. Damit verringert sich der Weg der Blattspitze auf ca. 60 cm. Wenn der Auftrieb des Blattes das Gewicht von Schaft und Knauf kompensiert, brauchen wir uns also um die ersten 90 cm kaum Gedanken zu machen. Bleiben noch 1,4 km bei 2400 Paddelschlägen in der Stunde.
Versuch einer Auswertung
Paddeltechnik | Anzahl Paddelschläge pro Stunde | Aushübe | Einsparung bei 100 g Gewichtsreduktion in kg | Bewegung der Paddelspitze in km |
Sit ’n Switch | 3600 | 3600 (+ 450 Seitenwechsel!) | 360 | 3,96 |
J-Schlag | 2400 | 2400 | 240 | 3,6 |
Canadian-Stroke | 2400 | 2400 | 240 | 1,4 |
Indian-Stroke | 1800 | 0 | 0 | 0 |
Man sieht, dass der Effekt eines leichteren Paddels stark von der verwendeten Paddeltechnik abhängt. Beim „Sit ’n Switch“ ist der Effekt eines deutlich leichteren Paddels groß. Bei eher traditionellen Paddeltechniken wird der Effekt geringer.
Anmerkungen
- Natürlich beschreibt die Paddelspitze den Weg, den das Paddel über der Wasseroberfläche bewegt wird, höchst vereinfacht. Das Gesamtsystem mit zwei Aufhängungen (Armen) um die gedreht wird ist deutlich komplexer!
- Rein physikalisch ist mechanische Arbeit = Kraft * Weg. Dabei betrachtet man die Kraft als Gewichtskraft ( = Masse * Erdbeschleunigung). Je höher ich das Paddel über die Wasseroberfläche hebe, desto mehr Arbeit muss ich aufwenden. Bei der Betrachtung von „Sit ’n Switch“ kommt also erschwerend hinzu, dass beim Seitenwechsel das Paddel 450 mal deutlich höher gehoben werden muss. Dazu erfolgt das Wechseln möglichst schnell, ich muss also noch Beschleunigungskraft (Masse *Beschleunigung) aufbringen, in die die Masse des Paddels wieder einfließt.
- Bei mechanischer Arbeit wird nur Arbeit betrachtet, bei der dem System Energie zugeführt wird. Das heißt, es geht um den Weg, den das Paddel angehoben wird (potentielle Energie). Sobald die endgültige Höhe erreicht ist, geht eine Bewegung parallel zur Wasseroberfläche nicht in die Betrachtung ein. Dass dieses „Halten“ von Gewicht trotzdem Mühe bereitet, zeigt die Erfahrung. Das erklärt sich dadurch, dass die Muskelanspannung, die es zum Halten braucht, chemische Energie kostet. Diese Energie kann der Körper immer wieder bereit stellen, er braucht aber auch immer wieder Zeit, um „aufzuladen“.
Beim „Canadian-Stroke“ ist die Phase des „Haltens“ oberhalb der Wasseroberfläche (60 cm zu 150 cm) deutlich geringer als bei einem J-Schlag. Dafür braucht der Körper mehr Energie, um dem Wasserdruck bei der Recovery entgegen zu setzen. - Bei den obigen Betrachtungen ging es nur um Paddelschläge pro Zeiteinheit. Dass dabei je nach Technik vollständig unterschiedliche Entfernungen heraus kommen, steht außer Frage!